Nakamotos Nachbar oder die Jagd nach dem Schöpfer des Bitcoin’s

Hal Finneys hellbraune Augen sind nach unten gerichtet.

Ich habe ihn gerade gefragt, ob er an der Erstellung von Bitcoin beteiligt war. Die kaum wahrnehmbare Augenbewegung des 57-jährigen Mannes ist seine einzige Möglichkeit, mir mitzuteilen, dass dies nicht der Fall war und dass ich die letzte Woche in derselben vergeblichen Windmühlenbewegung gefangen war, die so viele andere Reporter zu lösen versucht hat das Rätsel von Bitcoin’s mysteriösem Schöpfer, der nur als Satoshi Nakamoto bekannt ist.

Finney sitzt in einem ausgeklügelten Rollstuhl, flankiert von medizinischer Ausrüstung und seiner Frau und seinem Sohn. Beide tragen blaue Shirts mit der Aufschrift „Hal’s Pals: Fight ALS“. ALS oder Amyotrophe Lateralsklerose ist der Name der unheilbaren Krankheit, die Hal Finney in einen Körper eingeschlossen hat, dessen Muskeln den Befehlen seines Geistes nicht mehr gehorchen. Seine Augen gehören zu den wenigen Teilen seiner Anatomie, die sein Wille noch kontrolliert. Mit ihnen manipuliert er die Sprachsynthesesoftware, die auf einem Computer läuft, der mit einer Eye-Tracking-Kamera an seinem Rollstuhl befestigt ist. Bis vor kurzem ermöglichte ihm dieses Setup, flüssig mit computergestützter Stimme zu sprechen.

Aber mit fortschreitender Krankheit verschlechtern sich auch Finneys Augenbewegungen. Er ist oft auf Ja-Nein-Gespräche reduziert, wie wir sie jetzt führen. Der Verstand seines Ingenieurs, der einige der wichtigsten Codes in der Geschichte der Kryptographie geschrieben hat, ist von der Krankheit nicht betroffen und bleibt so klar wie immer. Aber seine letzten Lebensadern nach außen werden immer dünner. Ich frage Hal Finney, ob er irgendeine Verbindung zu Dorian Nakamoto hat, dem Mann, den Newsweek eine Woche zuvor als Schöpfer von Bitcoin bezeichnet hat , der Kryptowährung , die eine völlig neue digitale Form des Geldes darstellt und deren Gesamtwert so hoch wie noch nie gestiegen ist um 16 Milliarden US-Dollar im letzten Jahr 2013.

Seine Augen blicken wieder nach unten und diesmal grinst Finney. Sein Sohn Jason erklärt, dass unfreiwillige Bewegungen von ALS weniger betroffen sind als freiwillige; Finney kann auf Befehl für ein Foto nicht leicht lächeln, aber er kann lächeln, wenn er amüsiert ist, und er ist eindeutig amüsiert über meine Fragen. Schließlich frage ich Finney mit einer Bitte, die etwas verzweifelt klingen muss, mir zu zeigen, wie ein „Ja“ aussieht, nur um sicherzugehen, dass ich seine Ablehnungen nicht irgendwie falsch interpretiert habe. Unverkennbar hebt er Augen und Augenbrauen und grinst immer noch.

Eine Woche zuvor folgte ich Hinweisen, die entweder auf Finney´s Beteiligung an der Schaffung von Bitcoin oder auf einen der unwahrscheinlichsten Zufälle hindeuteten, denen ich jemals begegnet war. Heute glaube ich, dass diese Verbindungen tatsächlich zufällig waren, dass Finney die Wahrheit sagt, wenn er leugnet, an der Erfindung von Bitcoin mitzuwirken, und dass ich nur der Jüngste einer langen Reihe von Journalisten bin, der dem Trugbild eines Satoshi Nakamoto erlegen ist. Muster in einer Sammlung von bedeutungslosen Fakten.

Aber als ich den Hinweisen folgte, die mich zu Finney führten, fand ich etwas ebenso Bedeutendes: einen sterbenden Mann, der so etwas wie ein weitaus brillanterer Forrest Gump der kryptografischen Geschichte gewesen war. Ein Zeuge und Teilnehmer an praktisch jedem wichtigen Moment der letzten Zeit und der Geschichte von Geheimhaltungstechnologien. Von der Entwicklung der ersten weit verbreiteten starken Verschlüsselungssoftware, die als PGP bekannt ist, über frühe Anonymitätssysteme bis hin zur ersten Bitcoin-Transaktion war Hal Finney dabei.

Die Kaninchenloch Reise, die zum Treffen mit Finney führte, begann am 6. März 2014, dem Tag, an dem Newsweek seine Bombshell-Titelgeschichte über den Mann veröffentlichte, von dem behauptet wurde, er habe Bitcoin erfunden: Dorian Prentice Satoshi Nakamoto, ein 64-jähriger Ex-Ingenieur und Programmierer, der in dem kleinen Vorort von Los Angeles lebt, der als Temple City bekannt ist. Nakamoto schien Newsweek sogar eine stillschweigende Bestätigung seiner Theorie zu geben, als er dem Reporter des Magazins sagte, dass er „nicht mehr daran beteiligt sei“, ein Zitat, das im Wesentlichen von der örtlichen Polizei bestätigt wurde, die die Interaktion miterlebte.

Nur wenige Stunden, nachdem die Geschichte von Newsweek im Web erschienen war, erhielt ich eine E-Mail von einem alten Kryptografie-Bekannten von Finney, der darum gebeten hatte, anonym zu bleiben. Die E-Mail hatte den Titel „Was sind die Chancen?“ Es wurde darauf hingewiesen, dass Hal Finney fast ein Jahrzehnt in Temple City gelebt hatte, der gleichen Stadt mit 36.000 Einwohnern, in der Newsweek Dorian Nakamoto gefunden hatte. Finneys Adresse war nur ein paar Blocks vom Haus der Familie Nakamoto entfernt.

Dies war eine unheimliche Verbindung: Finney ist bekanntermaßen nach Satoshi Nakamoto der zweithäufigste Benutzer von Bitcoin. Er war einer der ersten Befürworter dieser Idee, als Nakamoto Ihn auf eine Kryptographie-Mailingliste setzte und Anfang 2009 sogar die erste Bitcoin-Testtransaktion von Nakamoto erhielt, wie Finney selbst in einem Beitrag im Bitcointalk-Forum schrieb. Mit anderen Worten, der „möglicherweise“ erste Benutzer und der bestätigte zweite Benutzer von Bitcoin, lebten also nur wenige Blocks voneinander entfernt ?

Bereits während der Texas Bitcoin Conference, an der ich an diesem Tag in Austin teilnahm, setzte sich die Theorie durch, als ein Bitcoin-Podcaster eine noch extremere Version derselben Theorie veröffentlichte: Hatte Finney Bitcoin selbst erfunden und einfach den Namen seines Nachbarn als sein Pseudonym verwendet ? Auf Reddit verfolgte ein Benutzer der IP-Adresse von Finney und stellte fest, dass er sich in der Gegend von Los Angeles befand. „Dorian [Nakamoto] hätte wahrscheinlich ein Tropfen sein können“, schrieb ein Benutzer namens Ikinoki im Hacker-Jargon „drop“, ein Patsy, dessen persönliche Informationen dazu verwendet werden, Online-Exploits zu verbergen. Ich unterstellte Finney nichts Bösartiges. Stattdessen begann ich zu glauben, dass er der Bitcoin Ghostwriter gewesen sein könnte.

Auf Wunsch von Matt Herper, erfolgte bereits ein Vergleich von Dorian Nakamoto´s verschiedenen Online Kommentaren und den Postings von Satoshi Nakamoto´s Schriften zum Bitcoin vor seinem völligen Verschwinden aus dem Web im Jahr 2011. So ist es nicht überraschend, dass ein völliges Missverhältnis festgestellt wurde. Dorian Nakamoto´s halb gebrochenes Englisch entsprach kaum dem eleganten technischen Stil des Bitcoin Schöpfer´s.

Auf der anderen Seite war Hal Finneys Schreiben so flüssig und präzise wie das Whitepaper, in dem der Bitcoin Ende 2008 erstmals vorgestellt wurde. Vielleicht hatte Finney, wie ich dachte, Nakamoto als schriftlichen Sekretär gedient und dabei Nakamoto für die Idee verantwortlich gemacht, aber mit seinen eigenen Schreibfähigkeiten, um der Öffentlichkeit Bitcoin zu erklären. Ich habe eine 20.000 Zeichen-Schriftprobe von Finney´s Texten aus verschiedenen Foren und Mailinglisten gesammelt und diese zur Analyse an Juola & Associates geschickt.

In der Zwischenzeit habe ich einige Mails an Finney gesendet. Als ich jedoch nichts hörte – er war größtenteils nicht im Internet und seine Lähmung zunahm, rief ich seine Frau Fran an, die jetzt als Vollzeitbetreuerin für Finney arbeitet. Sie erklärte mir die medizinische Situation ihres Mannes und leitete meine Fragen geduldig an ihn weiter. Mit seinen Augenbrauen und Augenbewegungen, wie sie mir am Telefon beschrieben hatte, bestätigte er, dass er mit dem Schöpfer des Bitcoin´s korrespondiert hatte, bestritt jedoch jegliche Verbindung zu der Erfindung von Bitcoin oder zu Dorian Nakamoto. „Für Hal hätte Satoshi Nakamoto nebenan oder in Japan sein können“ sagte mir seine Frau am Telefon.

Sie lud mich höflich ein, Sie und ihren Mann in Santa Barbara zu besuchen, wo das Paar jetzt lebt. Persönlich, sagte sie, wäre es einfacher, mich davon zu überzeugen, dass Finney trotz der millionenschweren geografischen Verbindung nicht an der Erfindung von Bitcoin beteiligt war. Sie bat mich außerdem, in jede Geschichte, die ich schrieb, ihre Bitte an die Medien und die Bitcoin-Community einzubeziehen, nicht zu ihnen nach Hause zu strömen und Finney für Interviews zu verfolgen, wie dies Reporter unmittelbar nach der Geschichte von Newsweek in Dorian Nakamotos Haus getan hatten. „Er ist sehr zerbrechlich“, sagte sie mir. „Wir haben ihn rund um die Uhr in der Beatmungsunterstützung. Er hat Schwierigkeiten mit der Kommunikation. Es wäre schön, wenn die Leute ihn nicht belästigen würden.“

Nur wenige Stunden nach diesem Telefonat erhielt ich die Ergebnisse der schriftlichen Analyse von Juola & Associates. Hal Finney war der beste Nakamoto-Kandidat, dessen Schreiben die Firma jemals analysiert hatte, und der Erste, von dem Noecker glaubte, dass er das Bitcoin-Whitepaper tatsächlich geschrieben hatte. „Mir scheint also“, schrieb er in einer E-Mail: „Sie haben den echten Satoshi Nakamoto gefunden.“

Wer war Hal Finney ?

Hal Finney wuchs im idyllischen Vorort Arcadia von Los Angeles in einem zweistöckigen Haus im Landhausstil auf, nur eine achtminütige Autofahrt vom Haus der Familie Nakamoto in Temple City entfernt. Dorian Nakamoto, damals unter seinem Geburtsnamen Satoshi Nakamoto bekannt, war sieben Jahre älter als Finney, und die beiden besuchten nie dieselbe Schule. Aber Nakamotos Bruder Tokuo Nakamoto erzählt mir, dass Satoshi bis in die frühen 1970er Jahre von der Adresse in Temple City zum College am California Polytechnic Institute pendelte, als Finney die Arcadia High School nur ein paar Meilen davon entfernt besuchte.

Keiner von Finneys Freunden in Arcadia High, mit denen ich gesprochen habe, hatte eine Erinnerung an einen älteren Freund oder Bekannten von Finneys Namen Satoshi Nakamoto.

Sie erinnern sich an Finney als ungewöhnlich intelligenten und nachdenklichen Studenten, der zeitweise eine beeindruckend große Ausgabe von Ayn Rands Atlas Shrugged mit sich herumtrug und anscheinend seine Lektionen über liberales freies Denken übernommen hatte. Freunde erinnern sich, dass er still im hinteren Teil eines Physikkurses saß, um sich anschließend an den Lehrer zu wenden, um einen Fehler zu korrigieren oder eine bessere Art der Problemformulierung vorzuschlagen. Bei Wettbewerben im Mathe-Team meldete sich Finney mit einer Antwort auf die meisten Fragen, bevor sie vollständig gestellt worden waren. 1974, in seinem letzten Jahr, wurde er von Gleichaltrigen zum „besten Köpfchen“ gewählt.

Er hatte dieses unheimliche Gefühl für Zahlen. Für ihn wirkten sie wie Lebewesen, die ein Verhalten hatten, von dem man lernen konnte.

Richard Lewis, ein Freund von Finney, Professor für Physiologie Stanford

Finney schrieb sich am California Institute of Technology ein und konzentrierte sich bald von Mathematik auf Computer. Er blieb die ganze Nacht über wach und verpasste oft den Unterricht, um sich über seine codierten Kreationen Gedanken zu machen. Nach seinem Abschluss heiratete er seine College-Freundin Fran und schrieb Videospiele für Mattel. 1982 zogen die Finneys in ein Haus in Temple City, ebenfalls weniger als drei Kilometer vom Haus der Familie Nakamoto entfernt. Laut Newsweek kehrte Dorian Nakamoto erst 1987 von New Jersey nach Los Angeles zurück und lebte dann in anderen Stadtvierteln wie Buena Park und Costa Mesa. Aber Dorian Nakamotos Mutter und später ein Familienmitglied, behielten das Haus in Temple City.

Erst 1991 entdeckte Finney die Bewegung der antiautoritären Verschlüsselungsgurus, die den Rest seiner Karriere bestimmen würden: die Cypherpunks. Die Gruppe konzentrierte sich auf die Cypherpunk-E-Mail-Liste und sprach sich für Verschlüsselungs-Tools aus, um die Macht von der Regierung auf den Einzelnen zu verlagern. Wie viele andere Cypherpunks ließ sich Finney von der Arbeit von David Chaum inspirieren, einem anderen Kryptografen aus Los Angeles, der theoretische Systeme vorgeschlagen hatte, die Verschlüsselungstools verwenden, um anonyme Kommunikation und sogar nicht nachvollziehbare Finanztransaktionen zu ermöglichen. Chaum hatte die erste virtuelle Währung namens DigiCash mit einigen der anonymen und dezentralen Eigenschaften von Bitcoin entwickelt, die jedoch nie breite Akzeptanz fand.

Es schien mir so offensichtlich, der Computer kann als Instrument zur Befreiung und zum Schutz von Menschen verwendet werden, anstatt sie zu kontrollieren.

Hal Finney 1992 in einer Cypherpunk Mail

Finney setzte seine Programmierkenntnisse ein, um Werkzeuge für die Umsetzung dieser kryptoanarchistischen Vision zu entwickeln. „Unser Motto war der Cypherpunks Write Code“, sagt Tim May, Mitbegründer der Gruppe, und verweist auf eine Zeile im Cypherpunk’s Manifest, die von seinem Mitbegründer Eric Hughes verfasst wurde. „Hal war einer von denen, die den tatsächlichen Code geschrieben haben.“

Als die Mailingliste, die der Datenschutzaktivist Phil Zimmermann mit der Veröffentlichung von Pretty Good Privacy (PGP), dem ersten frei verfügbaren Verschlüsselungsprogramm, das nicht einmal von staatlichen Geheimdiensten gebrochen werden konnte, erreichte, wandte sich Finney an Zimmermann und wurde einer seiner frühesten Mitarbeiter. Er arbeitete fast stundenlang in Vollzeit an der Entwicklung von PGP 2.0, das allgemein als die erste wirklich sichere Version des Programms angesehen wird, und entwickelte sein „Web of Trust“ Modell für die Schlüsselsignatur, eine Methode zur Herstellung vertrauenswürdiger Identitäten über das Peer-to-Peer-Vouching einer Benutzergemeinschaft. „Das Vertrauensmodell war ein sehr komplexer Teil, und dies war von entscheidender Bedeutung für den Erfolg von PGP“, sagt Zimmermann. „Hal hat dabei einen enormen Beitrag geleistet.“ Als Zimmermann das erste Mal auf meine Frage zu Finney zurückschrieb, bemerkte er auch Finneys außergewöhnliche Demut und Charakterstärke:

Hal ist ein seltenes Genie, das nie seine emotionale Intelligenz eintauschen musste, um seine intellektuellen Gaben zu erhalten. Ein feiner Mensch, eine Inspiration für sein Lebensgefühl. Ich wünschte, ich könnte wie er sein.

Phil Zimmermann

In der Tat, Jahrzehnte bevor irgendjemand Finney des Ghostwritings von Bitcoin verdächtigte, schrieb Finney einen Großteil von PGP. Wegen der rechtlichen Kontroverse um die Verbreitung des Verschlüsselungs-Tools im Internet – Zimmermann wurde fast wegen Verstößen gegen die Waffenexportkontrolle angeklagt – wurde Finneys Rolle in der öffentlichen Diskussion über das Programm von Zimmermann heruntergespielt. Obwohl Finney mir erzählte, dass er eng mit Zimmermann zusammengearbeitet habe, um „den größten Teil der Änderungen“ von PGP 1.0 auf PGP 2.0 zu programmieren, wurde ihm diese Arbeit nur selten voll angerechnet.

Mit der Verbreitung von PGP war Finney auch der erste, der die Verschlüsselungssoftware in „Remailer“ -freie Dienste integrierte, die als Proxyserver für E-Mails fungierten und Nachrichten an Dritte weiterleiteten, damit sie nicht zu ihrer Quelle zurückverfolgt werden konnten. „Zwei Personen könnten per E-Mail kommunizieren, wobei beide Identitäten vor den anderen geschützt wären“, erklärte Finney auf der Cypherpunks Mailingliste. Diese Tools entwickelten sich schließlich zu starken Anonymitätsdiensten wie MixMaster und Tor, die heute von Millionen menschen auf der ganzen Welt verwendet werden. Währenddessen gab Finney Chaum´s Vorstellungen von digitaler, pseudonymer Währung nie auf. 

Mit digitalem Bargeld und Smartcards sollten Sie in der Lage sein, Transaktionen durchzuführen, bei denen keine Organisation oder Institution in der Lage ist, Ihre Privatsphäre zu verletzen oder Ihr Geld zu stehlen, dies gibt den Verbrauchern mehr Macht !

Hal Finney Mailingliste 1993

Ein paar Jahre später entwickelte Finney sogar ein Proof-of-Work System, das demjenigen ähnelte, welches Bitcoin später verwenden würde, wobei die Systemteilnehmer komplexe Computerprobleme lösen mussten eine Eintrittsbarriere zu schaffen und diejenigen fernzuhalten, die das System beschädigen würden. Als die Idee für Bitcoin 2008 zum ersten Mal in einem Kryptografiemailing von Satoshi Nakamoto auftauchte, war Finney sofort begeistert und antwortete mit neugierigen Fragen. Nakamotos Ankündigung wurde ansonsten meistens skeptisch aufgenommen. 

Kryptographen haben zu viele großartige Pläne von ahnungslosen Narren gesehen, ich war idealistischer. Ich habe Krypto, das Mysterium und das Paradoxon immer geliebt.

Hal Finney 2013 im BitcoinTalk-Forum

Finney lud den frühen Bitcoin-Code herunter und begann ihn auf einem IBM Windows Desktop Tower Computer auszuführen. Es wird allgemein angenommen, dass er die erste Person ist, die dies außer Nakamoto selbst tat. Er hat es wochenlang am Laufen gehalten – wie lange, wollte er mir nicht sagen. Ohne Konkurrenz war er in der Lage, bis zu hundert Münzen pro Tag zu minen, wobei er nur die handelsübliche CPU seines alten PCs verwendete. Doch irgendwann, nachdem Finney tausend Münzen abgebaut hatte, schaltete er den Mining Automaten aus – er und sein Sohn befürchteten, der Computer könnte überhitzt werden. Der Vorrat an Bitcoins lag auf Finneys Festplatte und wurde später auf eine DVD gebrannt, um dann Staub auf einem Schreibtisch zu sammeln. „Ich dachte, dass es nur eine uneigennützige Sache war, die er für einen Freund tat“, sagt Fran Finney. „Und wir dachten, das PGP-Ding war schon genug Selbstlosigkeit.“

Während seiner Bitcoin-Experimente korrespondierte Finney mit Nakamoto und schickte ihm eine Reihe von Fehlerberichten und Vorschlägen für Korrekturen. Er schrieb später, dass er, obwohl er keine Ahnung von Nakamotos wirklicher Identität oder Lage hatte, sich den Bitcoin Erfinder als „einen jungen Mann japanischer Herkunft vorstellte, der sehr klug und aufrichtig war“.

Anfang Januar 2009 schickte Nakamoto an Finney auch den ersten Testtransfer von 10 Bitcoins. Finney sagte zu dem Zeitpunkt, dass er die zehn Bitcoin Münzen an Nakamoto zurückzahlen würde. Er hat es nie getan, erinnert sich Fran Finney mit einem Lachen. Bis dahin habe er andere Gedanken gehabt, sagt sie. Finney sei unerklärlicherweise schnell müde geworden, habe seine Worte verwischt, ein merkwürdiges Kribbeln erfahren und die Koordination in seiner rechten Hand verloren. Sein Arzt diagnostizierte im August 2009 die Krankheit ALS.

Da Finneys Muskelkontrolle in den nächsten Jahren nachließ, schrieb er weiterhin Code für Bitcoin. Einmal schrieb er eine Verbesserung seiner Kryptographie mit elliptischen Kurven, die seine Transaktionen um bis zu 20% beschleunigen würde. Sogar nachdem er die Fähigkeit verloren hatte, mit beiden Händen zu tippen, verwendete er dann eine Eye Tracking Software um überhaupt noch zu tippen um damit Code zu schreiben, einschließlich eines Programms namens bcflick, welches darauf abzielte, Bitcoin Wallets besser zu sichern. 

Ich bin sehr stolz auf meine Arbeit mit PGP, obwohl ich mich nicht wundern würde, wenn meine kleinen Beiträge zu Bitcoin, insbesondere meine Optimierung der elliptischen Kurvenmathematik, der bleibende Beitrag meiner Arbeit von mir sein könnten.

Hal Finney

Bezüglich der Bitcoins, die Finney in jenen frühen Tagen abgebaut hatte, schreibt er, dass er erleichtert war, diese im Jahr 2010 wiederzuentdecken, als der Bitcoin plötzlich an Wert gewann. Er übertrug sie auf die CD und verwahrte sie später in einem Safe bei der Bank seiner Familie. Aber als Finneys Arztrechnungen stiegen, verkaufte Finney den Großteil der Münzen zu einem Wechselkurs von rund 100 US Dollar, nur einen Bruchteil der mehr als 500 US Dollar, die sie dann 2014 bei meinem Interview wert waren.

Jason, unser Sohn sagt immer: „Was wäre wenn, was wäre wenn ?“, zur Entscheidung die Bitcoin Münzen zu verkaufen. Es ist in Ordnung für mich, wenn es bedeutet, dass wir genug Geld haben, um Hal zu Hause bequem am Leben zu halten.

Fran Finney

Fran lehnt es ab zu sagen, wie viel die verbleibenden Bitcoin Ersparnisse der Familie noch wert sind, fügt jedoch hinzu, dass die Familie noch nie so viel Kryptowährung besessen hat, wie oft gemunkelt wird. Letztes Jahr, sagt sie, drohte ein Erpresser, private Informationen über die Familie online zu veröffentlichen, wenn Finney nicht eine große Anzahl von Bitcoins transferierte – mehr, als er nach seinen medizinischen Ausgaben noch übrig hatte. Finney selbst scheint sich nicht mit dem zu befassen, was hätte sein können, genauso wenig wie sein Glück, der früheste Anwender von Bitcoin zu sein. „Ich habe insgesamt ziemlich viel Glück. Selbst mit ALS ist mein Leben sehr zufriedenstellend. Aber meine Lebenserwartung ist begrenzt“, schrieb er letztes Jahr . „Ich fühle mich wohl mit meinem Erbe.“

Nach meinem ersten Telefonat mit Fran Finney schrieb mir Hal Finney eine Mail, von der ich später erfuhr, dass er den größten Teil seines Tages gebraucht hatte sie mit seiner eingeschränkten Augenbewegung zu verfassen. In der Notiz bestritt er nicht nur die Erfindung von Bitcoin, sondern äußerte auch Zweifel am Newsweeks Fokus auf seinen alten Nachbarn Dorian Nakamoto.

Ich muss mich kurz fassen. Der Grund, warum ich Dorian Nakamoto gegenüber skeptisch war, ist, dass er nicht zu dem Bild passte, das ich von Satoshi hatte. Ich stellte ihn mir jünger vor, da er den Eindruck jugendlicher Kraft erweckte. Dann gibt es die Sprache, in der Bitcoin geschrieben wurde, C++. Satoshi war ein Meister der Feinheiten, und das habe ich nur bei jungen Programmierern gesehen. Es scheint schwer, C++ zu beherrschen, wenn Sie es nicht gelernt haben, als Sie jung waren. Als ich mehr über ihn erfahren habe, gibt es Details, die nicht stimmen, wie z.B. seine Fürsorge für eine alternde Mutter, die finanzielle Belastungen verursachen kann.

Was Ihren Verdacht betrifft, dass ich Satoshi entweder geholfen habe oder ihm zumindest geholfen habe, bin ich geschmeichelt, aber ich bestreite kategorisch diese Anschuldigungen. Ich weiß nicht, was ich noch sagen kann. Sie haben Aufzeichnungen darüber, wie ich auf die Ankündigung von Bitcoin reagiert habe, und ich hatte Mühe, sie zu verstehen. Ich nehme an, Sie könnten erwidern, dass ich es vortäuschen konnte, aber ich weiß nicht, was ich dazu sagen kann. Ich habe einige Änderungen am Bitcoin-Code vorgenommen und mein Stil unterscheidet sich grundlegend von dem von Satoshi. Ich programmiere in C, das mit C++ kompatibel ist, aber ich verstehe die von Satoshi verwendeten Tricks nicht.

Nach Ihrer Theorie, dass ich Dorian kenne, ist das unwahrscheinlich, weil ich vor mehr als einem Jahrzehnt in Temple City gelebt habe, als Bitcoin noch nicht einmal erfunden war. Auch hier bestreite ich kategorisch jede Vertrautheit mit Dorian Nakamoto.

Hal Finney

In einer eigenen schriftlichen Erklärung eine Woche später bestreitet Dorian Nakamoto ebenfalls jegliche Beteiligung an Bitcoin oder dessen Erfindung mit der Begründung, er habe noch nie mit Kryptografie gearbeitet und sei finanziell so verarmt, dass er sich nicht einmal eine Internetverbindung leisten könne. Durch seinen Bruder Tokuo erzählte mir Dorian Nakamoto auch, dass er noch nie zuvor den Namen von Hal Finney gehört hatte.

Die überzeugendsten Beweise dafür, dass Finney Bitcoin nicht erfunden oder das Bitcoin-Whitepaper von 2008 als Ghostwrite geschrieben hat, gab es jedoch bei meinem Besuch im Haus der Finney´s in Santa Barbara.

Ich kam an einem Samstagnachmittag an, 20 Minuten zu spät wegen des Verkehrs zwischen Los Angeles und dem Vorort Santa Barbara. Fran Finney hieß mich in ihrem Haus willkommen und brachte mich ins Wohnzimmer, wo Finney selbst mit seinem Sohn Jason in seinem Rollstuhl saß. Sein Beatmungsgerät surrte rhythmisch und die Luft roch leicht nach etwas Süßem, wie heißer Milch.

Ich entschuldigte mich für die Verspätung. Finney´s erste Worte an mich und der längste Satz, den ich ihn mit seiner Roboterstimme sprechen hörte, lauteten: „Andy, es ist schwer, die Fahrt von LA aus zu planen.“ Er hatte ungefähr zehn Minuten damit verbracht, den Satz mit seinen Augenbewegungen zu schreiben, nur um sich zu trösten mich über meine Verspätung. „Wir sind an so etwas von ihm gewöhnt“, sagte Fran zu mir. „Er ist ein guter Kerl.“ Ich setzte mich zu Finney und erklärte noch einmal die seltsamen Zusammenhänge, die mich zu ihm nach Hause gebracht hatten. Dann probte ich die Fragen, die ich durch seine Frau am Telefon gestellt hatte. Mit seinen Augen gab er die gleichen freundlichen Verweigerungen.

Dann brachte mich Jason Finney zu einem Computer, um mir zu zeigen, was er vorbereitet hatte: Es war Finneys Gmail-Konto, das im Januar 2009 für ein Gespräch zwischen Finney und jemandem namens Satoshi Nakamoto eröffnet wurde – eindeutig dem Satoshi Nakamoto. Sie hatten ungefähr fünfzehn E-Mails ausgetauscht, in denen Finney Fehler beschrieb, die er im frühen Bitcoin-Code gefunden hatte, und Nakamoto antwortete mit Korrekturen und Dankesschreiben.

Der Nakamoto am anderen Ende des Gesprächs, schrieb in fließendem, umgangssprachlichem Englisch, überhaupt nicht wie Dorian Nakamoto. (Ich würde die E-Mails später an dieselbe Sprachanalysefirma weiterleiten, die zuvor Nakamotos Schriften analysiert hatte, und sie bestätigten, dass die neuen E-Mails dem Stil des Bitcoin-Whitepapers besser entsprachen als der von Finney und noch weitaus besser als von Dorian Nakamoto.)

Jason Finney ließ mich auch den Transaktionsnachweis für die Bitcoin-Brieftasche seines Vaters aus dem Jahr 2009 einsehen, aus dem hervorgeht, dass Finney Anfang Januar 2009 die 10 Bitcoins Test-Transaktion von Nakamoto erhalten hatte, war fälschungssicher auf der Blockchain hinterlegt. Die Vorstellung, dass Finney alleine die beiden Konten eingerichtet und ein falsches Gespräch mit sich selbst geführt hätte, um Schnüffler wie mich zu täuschen, lange bevor Bitcoin einen messbaren Wert hatte, schien absurd.

Mein Vater ist ein ehrlicher Typ, am liebsten wäre er an der Entwicklung von Bitcoin beteiligt gewesen und er hätte es nicht versteckt. Aber er war nicht beteiligt.

Jason Finney

Zu diesem Zeitpunkt war ich überzeugt, eine Sackgasse erreicht zu haben. Alle Anzeichen, dass Finney bei der Entwicklung von Bitcoin eine geheime Hand gehabt haben könnte, hatten sich als nichts anderes als die Illusion eines Signals in zufälligem Rauschen herausgestellt.

Aber selbst als ich meine Theorie fallen ließ, hatte ich genug gelernt, um zu wissen, dass Finney kein zufälliger roter Hering war. Als Open-Source-Projekt wurde Bitcoin von einer Community von Programmierern gebaut und umgebaut, die 70% ihres Codes neu geschrieben haben, wie ein Schiff, dessen Besatzung auf See seinen Rumpf ersetzt. Als erster Debugger und Entwickler vom Bitcoin Code, lange bevor ein Bitcoin jemals einen Tausendstel Cent wert war, hat Finney zweifellos dazu beigetragen, ihn zu erstellen. Und dies könnte die letzte Chance sein, die ich oder ein anderer Journalist haben könnte, um ihn persönlich zu treffen.

Ich setzte mich wieder neben Finney und fragte ihn, ob er sich in diesem Sinne als einer der Schöpfer von Bitcoin betrachte ? Er hob Augen und Augenbrauen. Dann fragte ich ihn, ob er stolz auf diese Arbeit sei. Finney hob wieder die Augen und lächelte.

Hal Finney verstarb am 28. August 2014 in Scottsdale, Arizona und wurde durch die Firma Alcor Life Extension Foundation kryokonserviert. Interviev von Andy Greenberg mit Hal Finney vom 25. März 2014. Übersetzt aus dem Englischen von René Ruelke. Mit Berichten von Matt Herper, Susan Radlauer und Kashmir Hill.